VERGLEICH – VERTIEFUNG
Nicht geschimpft ist schon Lob genug – Eigenlob stinkt – Lob ist für Erwachsene überflüssig – Wozu lobern, arbeiten Sie lieber – Schluss mit dem esoterischen Quatsch; konzentrieren Sie sich lieber auf die Arbeit – Früher war Lob auch nicht nötig; immer diese Streicheleinheiten – Bleiben Sie rational und professionell
AUSGANGSSITUATION
Letztens bin ich über einen Artikel in LinkedIn gestolpert, der mich als Experte für Verhalten und mit meinem Hintergrund verschiedenster Coaching-Ausbildungen zu einer nachstehenden Antwort veranlasst. Dieser Artikel verlinkt auf einen weiteren Folgeartikel, auf den ich an dieser Stelle nicht bzw. nur bedingt weiter eingehe.
Der Originalartikel ist deswegen so reizvoll, weil er sowohl zur Zustimmung als auch zur Ablehnung als auch Ergänzung nur so nach sich schreit. Das soll in einem respekt-vollen Umgang mit dem Autor erfolgen, mit dem ich sofort in den Dialog trat und uns alle ein Stück weiterbringen sowie zur Klarheit für die Anwender sorgen.
VERGLEICH
Seit geraumer Zeit steht immer stärker die Forderung nach mehr #Lob in den Unternehmen im Raum. Wenn #Vorgesetzte mehr loben würden, wären die #Mitarbeiter zufriedener und die #Arbeit würde dann viel mehr Freude machen.
Die gewonnenen Erkenntnisse, die mir das Nachdenken über den Zusammenhang von Lob, #Zufriedenheit und #Arbeitsfreude gebracht hat, sind sehr entlastend, weil mir klar geworden ist, dass Lob eine toxische Angelegenheit ist.
Es erklärt nämlich, warum dem Tode geweihte
#Strukturen durch Forderungen nach mehr Lob „künstlich beatmet" werden. Wenn Mitarbeiter:innen keine
#Selbstwirksamkeit mehr erleben können, weil unpassende Strukturen sie daran hindern, wird Lob zur süchtig machenden Droge, die eine heile Welt vorgaukelt, die Die aktuell sehr aktive
#Glücksbewirtschaftungsindustrie lebt natürlich sehr gut von dem Mythos, dass glückliche Menschen
#Erfolg bringen. Dabei ist es umgekehrt: Erfolg macht glücklich.
Und wer versucht, Menschen, die an ihnen genommener Möglichkeit zur Selbst-wirksamkeitserfahrung leiden, durch vorgespieltes Lob-/
#Mindset-/Motivations-Theater zu beglücken, wird nur
#Zynismus und
#Misstrauen ernten.
Lob ist „Zuckerguss-Kontrolle".
Auch wenn ich den generellen Vergleich von Führung im Unternehmen und Kindererziehung für unzulässig halte, möchte ich für das Nachdenken über die so inflationär geäußerte Forderung, Chefs sollten mehr loben, den hier verlinkten Artikel"Fünf Gründe gegen Gut gemacht" empfehlen.
Lob fördert nämlich keineswegs die Stärkung der Persönlichkeit, die Entwicklung von
#Eigenverantwortung oder die Festigung des Selbstvertrauens, sondern nur die Entwicklung von erwünschtem Verhalten. Und das ist sowohl für die Gelobten selbst, als auch für eine dynamikrobuste
#Wertschöpfung auf Dauer Gift.
Das Bedürfnis nach Anerkennung ist bei erwachsenen Menschen vielleicht nicht mehr ganz so vordergründig wie bei Kleinkindern, aber dennoch ein existenzielles Grundbedürfnis. Alfie Kohn, Autor des Buches „Liebe und Eigenständigkeit" schreibt:
„Der Grund, warum Loben, auf kurze Zeit gesehen, funktionieren kann, ist, dass kleine Kinder nach Anerkennung hungern. Doch wir tragen die Verantwortung dafür, diese Abhängigkeit nicht für unsere eigene Annehmlichkeit zu missbrauchen."
Antwortartikel: Sicht basierend auf OBM & Sell the Limbic & Transaktionsanalyse & Systemtheorie
Quelle: Leader trifft Hirn, Dieter Strasser & Thomas Weil
Menschen sind Herdentiere und benötigen den Sinn samt Zugehörigkeit zu mindest-ens einem, eher mehreren Systemen. Beziehungsbedürfnisse treten an den diversen Grenzlinien auf.
Rückmelden, also das Bemerken einer Existenz und die Aufnahme sowie Akzeptanz ist für deren Gedeihen unabdinglich.
Lob ist eine spezielle Form der Rückmeldung. Eine freudige, da Zustimmung. In diesem Sinne teile ich nicht die Meinung, Lob wäre toxisch oder gar „Zuckerguss-Kontrolle".
Was aber dahinter steckt (stecken könnte), sind vier Aspekte aus OBM – Organisatorisches Verhaltensmanagement:
1) Fehler bei der Verstärkung
2) Sättigung & Entbehrung
3) Bestandteile Leistung
4) Belohnung vs. Verstärkung
Wer diese nicht gebührend berücksichtigt, wird de facto geringe bis negative Wirkung erzielen. Unter diesen Gesichtspunkten kann ich mich Meinungen des Autors wiederum anschliessen. Das mag paradox klingen, ist jedoch lediglich Detailtiefe. Sehen wir uns das nun der Reihe nach an, ohne in ein Training abzurutschen.
Ad 1) Fehler der Verstärkung
In der obigen Beschreibung wird als erstes der Verknüpfungsfehler adressiert. Das ist eine Rückmeldung – sagen wir in diesem Fall der Einfachheit halber „Lob", ohne direkten Bezug zu einem spezifischen Verhalten. So ein Lob ist wie eingangs erwähnt aus meiner Sicht durchaus etwas Angenehmes. Nur wäre halt auch sehr angenehm zu wissen, wofür exakt der/die Ausführende diese Anerkennung erhält.
Weiters ist die Beziehung zum/r Geber:in des Lobs von Bedeutung. Nur wer Teil der Ausführung ist – also ein direkter Bezug – kann einen hohen Grad an Wirkungsentfaltung erzielen.
Quelle: Organizational Behavior Management, OBM dynamics
Die Beschreibung birgt noch weitere Schätze. So kann der/die Lobgeber:in ebenso die Wahrnehmungs- oder Verzögerungsfalle tappen. Also etwas loben, was der/die Ausführende nicht als angemessen sieht und/oder viel zu spät und/oder beides, weswegen das gelobte Verhalten nicht mehr so exakt bedacht werden kann.
Der letzte im Bunde, der Frequenzfehler, führt mich gleich zur Betrachtung des zweiten Aspekts – der Sättigung aus Sättigung & Entbehrung.
Ad 2) Sättigung & Entbehrung
Wer von uns mag keine gute Nahrung? So ein richtig gutes Essen und Trinken bringt viel Wohlgefühl. Aber wer von uns mag zuviel davon? Denken Sie an die Weihnachtszeit, wo manche Bäuche platzen. Denken Sie an unsere Grossmütter oder Tanten, die aufgrund ihrer Prägung kalorienreiches sowie umfangreiches Essen als etwas Gutes einstufen und die Gäste damit verwöhnen wollen.
Nur, wenn es zuviel ist oder die Kost weder zuträglich ist noch bevorzugt wird, kehrt sich das gewollte angenehme Gefühl schnell um. Wer sich dauerhaft solchen ´Kuren´ unterzieht, kann sich auch Langzeitschäden abholen.
Genauso ist es mit Lob. Die passende Menge entscheidet mit unter Berücksichtung der schon getätigten Ausführungen.
Natürlich sind viele Erwachsene weniger hungrig bei eingefahrenen Arbeitsbahnen. Berücksichtigen Sie aber, wie oft auch unsereins gefordert ist, etwas Neues, etwas Anderes auszuführen. Da unterstützt Rückmeldung in höherer Frequenz durchaus. OBM spricht dann von Ausformung und deklariert genau, wie das am optimalsten ablaufen kann.
Die gegenpolige Schwester Entbehrung hingegen lechzt nach Nahrung. Mir war früher bspw. nicht bewusst, welche Armutsverhältnisse wir in Österreich (und sicher auch anderweitig) haben. Wie oft verzichtet wird und Hunger an der Tagesordnung ist. Zurückzukommen auf Verhalten und Lob – wir verzeichnen durchaus auch einen Hunger nach Anerkennung, nach Orientierung.
Selbstverständlich unterstreiche ich die Aussage des Autors des Ausgangsartikels bzw. dessen zitierter Quelle in dem Punkt, wo er meint, Erwachsene bedürfen nicht mehr nach soviel Rückmeldung in diesem Sinne. Nur so von Zeit zu Zeit ist Bestätigung schon auch ein Grundbedürfnis. Ehrliche, empathische mit dem Verhalten in Beziehung stehende Bestätigung meine ich damit. V.a., bei der Anwendung neuer Abläufe wie oben deklariert, dient das als Bezug.
OBM führt mit den 3 Paaren an Konsequenzdimensionen aus, wie Menschen eher negative Verhaltenskonsequenzen hervorrufen, als keine zu erhalten. Das deckt sich auch gut mit der Transaktionsanalyse (Strokes) und den Ausführungen zur Zugehörigkeit von oben.
So oft tritt unverständliches, ja sogar merkwürdiges Verhalten auf, manchmal auch völlig atypisch bei Personen, wo dies nie zu ermuten wäre und dabei ist die Lösung so einfach (ABC-Analyse und Konsequenzanalyse lt. OBM) durch eine Versorgung mit Aufmerksamkeit von Zeit zu Zeit (eine von vier Funktionen des Verhaltens lt. OBM).
Ad 3) Bestandteile Leistung
Bei diesen Ausführungen trifft der Ausgangsartikel so richtig den Kern. Und wissen Sie warum? Ach, lassen Sie uns zuerst folgendes Bild ansehen.
Quelle: Organizational Behavior Management, OBM dynamics
Klar herauskommen soll, wie der einzige Stellhebel der organisatorische Kontext ist. Also das Umfeld. Nur dann wird sich der/die Ausführende entfalten, wenn das Umfeld Leistung nach deren Geschmack und Mitgestaltung ermöglicht UND die Bestätigungen folgen. Aus freiem Willen. Was auch eine sehr geringe (wenn wir in Beziehung sind, ist diese m.E. immer vorhanden) Abhängigkeit nach sich zieht. Erfolg wird durch diese Definition konkretisiert und gemeinsam evaluiert.
1) Alle beobachtbaren Verhaltensweisen haben eine Funktion (wie schon weiter oben angeführt). Beobachtbares Verhalten zielt darauf ab, die (soziale und/oder physische) Umwelt zu beeinflussen. Der einzige Weg, die Umwelt zu beeinflussen, ist über beobachtbares Verhalten.
2) Beobachtbares Verhalten wird nur durch Verstärkung aufrechterhalten (kann positive Verstärkung/R+ sein, aber auch negative Verstärkung/R-). Wenn die Interaktion mit der Umwelt nur Bestrafung/P+ oder Sanktion/P- erzeugt, wird Überproduktion zu einem Stopp führen.
3) Das beobachtbare Verhalten, welches wir als Muster sehen, erzeugt positive Verstärkung/R+ (sonst würde es aufhören). Die Tatsache der automatischen Produktion von positiver Verstärkung/R+ wird in den meisten Fällen übersehen. Die zusätzliche, soziale positive Verstärkung/R+ wird meist als "extrinsisch" angesehen.
4) Dabei wird die Funktion des Verhaltens „Aufmerksamkeit" vielfach übersehen. Die soziale positive Verstärkung/R+ kann erforderlich sein, um das Verhalten aufrechtzuerhalten, wenn diese Funktion erfüllt werden soll.
Manipulation und Bestechungen werden ggf. einmalig versucht, finden jedoch keinen Platz und werden bei OBM nicht nur klar erklärt, als auch eindeutig abgegrenzt.
Ad 4) Belohnung vs. Verstärker
Für diesen letzten Aspekt reicht die nachstehende Grafik, um die Dinge ins rechte Licht zu rücken:
Quelle: Organizational Behavior Management, OBM dynamics
Gewollt ist beides. Nur lassen Sie uns das bitte nicht vermischen oder gar verwechseln. Der Weg, die Ergebnisse zu erhalten, ist weder irrelevant noch soll das zu Lasten Anderer erfolgen. Über die Verstärkungs- als auch Aktivitätsfallen zu wissen, hilft enorm im Alltag.
FAZIT
Lob in so negatives Licht zu rücken finde ich sehr schade. Wir erleben Zeiten grosser Veränderungen mit hoher Dynamik, welche viel Energie und Adaptionsfähigkeit bedürfen. Verunsicherung und Druck sind oftmals stete Begleiter, Depressionen und BurnOuts Sparringpartner.
Menschen brauchen Lob. Aber ehrliches, echtes, angemessenes Lob. Authentisch serviert und interessiert am Ausführenden liegt es an den Geber:innen, sich entsprechend einzustimmen. Die Rollen entsprechend zu klären und das Vorgehen zu vereinbaren – insbesondere das angebrachte Mass an Rückmeldung – unterstützt in hohem Grade die Akzeptanz in unterschiedlichen Kulturkreisen.
Möglicherweise leben wir in einer Welt voller Produktionstakt, wo wir loben verlernt haben. Da ist es eher an der Zeit, aus diesem historischen Muster auszusteigen.
OBM bietet noch eine Menge mehr an Hintergrundwissen und ist es mehr als wert, darin tiefer abzutauchen.
Dieter Strasser, MSc, CMC, Geschäftsführer:
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Trainer, Coach, Facilitator bei Viable Projects GmbH:
▪ www.viableprojects.eu
LITERATURLISTE
Die wichtigsten Werke in Bezug auf diesen Artikel zum Nachschlagen finden Sie in folgender Liste:
- Daniels, A.C. (2016), Bringing Out the Best in People, 3rd edition. McGraw-Hill Education, New York, NY.
- Daniels, A.C. and Daniels, J.E. (2006), Performance Management, changing behavior that drives organizational effectiveness, 4th edition, revised. Performance Management Publications, Atlanta, GA
- Daniels, A.C. and Bailey, J.S. (2014), Performance Management, changing behavior that drives organizational effectiveness, 5th edition, revised. Aubrey Daniels International, Inc, Atlanta, GA
- Den Broeder, R. and Kerkhofs, J. (2020), OBM, een introductie, Van Haren Publishing, 's-Hertogenbosch, The Netherlands
- Den Broeder, R. and Kerkhofs, J. (2021), OBM, Eine Einführung, Van Haren Publishing, 's-Hertogenbosch, The Netherlands
- Holland, J.G and Skinner, B.F. (1961), The Analysis of Behavior, A program for self-instruction. McGraw-Hill, Inc, New York, NY.
- Rietdijk, M.M. (2009), Organisaties conditioneren, de invloed van beloning en straf op werkprestaties, 3rd edition, VU University Press, Amsterdam, Netherlands (Dutch)
- Skinner, B.F. (1969), Contingencies of reinforcement: A theoretical analysis, Appleton-Century-Crofts, New York, NY
- Stewart, Ian u.a. (2000), Die Transaktionsanalyse, Taschenbuch Verlag Herder, Freiburg, Deutschland
- Stewart, Ian u.a. (2000), Die Transaktionsanalyse, Taschenbuch Verlag Herder, Freiburg, Deutschland
- Weil, Thomas u.a. (2021), Leader trifft Hirn, Eigenverlag