Kanban und Kanbansystem
Was ist der Zweck von Kanban? Was macht ein Kanbanbord zu einem Kanbansystem? Was ist dieses Denken im System und was bringt das für Kanban?
AUSGANGSSITUATION
Basierend auf immer wieder gestellte Fragen, ist es an der Zeit, das Kanbansystem an sich zu definieren bzw. die Definitionen gerade zu ziehen. Diese werden dann als Teil des Kompendiums integriert und darauf beziehen sich auch meine Ausführungen immer wieder.
ZWECK
Sie mögen es doch sicher auch nicht, wenn Sie im Stau stecken. Sicher genauso wenig, wenn Sie an einer Theke angestellt sind und es zieht sich unangenehm in die Länge, bis Sie Ihre gewünschten Waren endlich beisammen haben. Können die Servicekräfte das nicht besser organisieren, ist die vielfach gestellte Frage.
In der Arbeit geht es dann auch oft rund. Jeder will alles dringend und gleichzeitig. Sie kommen schon hinten und vorne nicht mehr zurecht. Niemand ist zufrieden und Sie sind zumindest nervlich fix und fertig. Vielleicht steigt dann auch noch die Fehlerquote oder die Kollegen, mit denen Sie zusammenarbeiten, haben etwas anderes über den Liefergegenstand verstanden als Sie. Kurz vor Schluss kommt alles ans Tageslicht. So macht Arbeit Spass. Oder doch nicht?
Wenn nein, dann sollten Sie Kanban ausprobieren. Denn dann sind wir mittendrin in der Positionierung. Das ist die Domäne von Kanban. Diese Methode ist eine Visualisierungsmethode mit vielen Strukturmitteln. Nichts an Ihren Daten, Abläufen, Rollen oder sonst was verändert sich. Sie breiten einfach ein opakes Tuch über den/die Bereich/e aus, wo es zwickt oder die Sie sich etwas genauer ansehen wollen. Üblicherweise zuckt es da schon bei den Ersten und Optimierungspotential wird sofort erkannt. Doch damit vorerst Haaalt!
Diese Visualisierung ist der Zugang zum Messen. Wenn Sie daran interessiert sind, faktenbasiert Ihre Ergebnisse zu optimieren, dann legen Sie los mit den inhärenten Mitteln, auf die wir später noch zu sprechen kommen.
Das ist der Zugang, systematisch verlässlicher zu werden und Durchlaufzeiten drastisch wiederholbar zu reduzieren.
Sie entscheiden, für welche Art der Arbeit dies Sinn macht und für welche nicht. David Anderson – der Urvater und Motor hinter Kanban (für die Wissensarbeit) hat mal gesagt, sein Kanban sei wie ein Spieleset. Aus dem Set kann die jeweils gewünschte Anwendung gebaut bzw. konfiguriert werden. Das bedeutet, es stehen viele Optionen zur Verfügung. Die Verwendung hängt immer vom Kontext und Ihren Wünschen ab. Wenn Elemente nicht genutzt werden, dann ist das so. Ein anderes Mal in einem anderen Kontext ist das wiederum ganz anders.
ANFANG
Kanban bedeutet in Kanji (Chinesische Zeichen) - 看板 - "Zeichen" oder "grosses Signal-Bord" und in japanischen Zeichen - かんばん - „Signalkart(en)". Auf chinesisch - 看板 - gibt es nur die buchstäbliche Bedeutung "auf das Bord schauen".
David Anderson und Kollegen haben sich dadurch inspirieren lassen und Stück für Stück ab 2014 die heute bekannte Kanbanmethode als ein visuelles Managementkonzept für die Wissensarbeit geschaffen.
Schon weit früher hat es einen Vorläufer in der Variante für die Fertigungsindustrie (kanban oder kan ban geschrieben) gegeben. Diese hat viele Ähnlichkeiten und hat erprobte Ansätze zurn Verfügung gestellt. Der grosse Unterschied liegt einerseits in der Steuerung manifester berechenbarer Bestandteile vs. andererseits menschlich, kreativer Kopfarbeit. Letztere ist klarerweise nicht auf Knopfdruck erstellbar.
Das „Wissens-Kanban" von David Anderson und der Kanban University eignet sich für jede Form der (wiederholten) Wissensarbeit für jede Branche.
Das "blaue" Buch von David J. Anderson bietet einen umfassenden Überblick über die Kanbanmethode und ihre Anwendung auf Technologie und allgemeine Unternehmensfunktionen.
Die Idee dahinter ist, eine visuelle Darstellung des Arbeitsablaufs und der Arbeitstypen zu schaffen. Dies ermöglicht den Arbeiter:innen ein klares Verständnis über die Aufgaben selbst, deren Status, die Ermittlung von Engpässen und die Optimierung des Arbeitsflusses mit dem Ziel einer hohen Verlässlichkeit der Lieferversprechen.
Arbeit wird bei Kanban im Fluss GEZOGEN – nicht geschoben. Letzteres verursacht nur Stau und Verzögerungen. ZIEHEN hingegen bedeutet freie Kapazität zum Bearbeiten ist vorhanden und unterstreicht den Fokus auf das FERTIGSTELLEN. Dadurch entstehen die enormen Effekte in Durchfluss.
Das brandneue Buch „Kanban – kurz & gut" der Ausbildnerin für Trainer und Praktikerin ersten Ranges Susanne Bartel führt alle Teile des Kanbanuniversums zusammen und erläutert anhand eines Beispiels das Zusammenspiel.
Ein Kanbansystem strebt die gesamthafte Wirkung über den Service hinweg vom Kunden (Besteller) zum Kunden (Benutzer) hin an. Die hohe Flusseffizienz ist das Ziel. Quasi raus aus den Silos hin zu einem Gesamtblick ist die Devise. Das bedeutet eine möglichst kontinuierliche übergreifende Bearbeitung ohne Warte- oder sonstige Liegezeiten.
Um die Aussage noch weiter zu schärfen – die Flusseffizienz sagt aus, wie gut das läuft, weil der Anteil der tatsächlichen Arbeitszeit vs. der Gesamtdurchflusszeit betrachtet wird.
Quelle: Kanban University, Training Kanban Systemdesign
Durch den Fokus auf die Arbeit und das Messen der Ergebnisse kann der Arbeitsfluss systematisch weiter optimiert werden.
Quelle: Grafik aus „Das ist Lean"
ELEMENTEAUSZUG
Zu den Kernpraktiken von Kanban gehören:
- Visualisierung des Arbeitsablaufs: Verwendung eines Kanbanbords, das in der Regel aus Spalten besteht, die den Arbeitsablauf darstellen.
- Begrenzung der gleichzeitig in Arbeit befindlichen Aufgaben (WiP): Dies bedeutet die Festlegung einer maximal gleichzeitigen Anzahl von Aufgaben, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in Bearbeitung sein können. Dies trägt dazu bei, eine Überlastung der Arbeiter:innen und Multitasking zu verhindern und den Fokus auf die Fertigstellung der Arbeiten aufrechtzuerhalten. Diese Werte können adaptiert werden, wodurch auch die Messergebnisse anders zu werten sind.
- Flussmanagement: Konzentration auf die kontinuierliche Verbesserung des Arbeitsflusses durch Ermittlung und Beseitigung von Engpässen, Verringerung der Durchlaufzeiten und Optimierung des Prozesses.
Aus den sechs Prinzipien der beiden Kategorien Service (Dienst) und Veränderung heben wir folgende drei aufgrund deren hohen Bedeutung hervor:
- Steuern Sie die Arbeit nicht die Arbeiter. Erlauben (fördern) Sie Selbst-Organisation darum herum
- Beginnen Sie dort, wo Sie heute sind. Respektieren Sie immer alle existierende Rollen und Verantwortlichkeiten. Verstehen Sie die aktuellen Prozesse, so wie diese aktuell gelebt werden
- Vereinbaren Sie Veränderungen evolutionär und schrittweise
Quelle: Kanban University – Darstelllung Viable Projects GmbH, Training Kanban Systemdesign
(Im obigen Schaubild sind alle Elemente gemeinsam zusammengeführt.)
Jedesmal, wenn ich das lese, lehre oder mir anderweitig verinnerliche, freue ich mich so über diese praktikable Weise, mit dem Alltag umzugehen. Ich finde das sehr entspannend und vernünftig. Oft erlebe ich den Drang zu grossen Lösungen. Die Aufgaben durchzudenken ist immer von Vorteil. Aber nicht unbedingt einen grossen Moloch zu kreieren. Meistens reicht es, loszulegen und zu lernen. Anpassen, erweitern und skalieren ist immer machbar.
DEFINITION
Messen, steuern und zielgerichtet weiterentwickeln bedingt die Betrachtung als System. Ein System definiert sich durch Abgrenzung. Die diversen Umwelten unterscheiden die Systeme voneinander. In dem Wort "Abgrenzung" steckt „Grenzen" und das ist quasi die Übergangsschwelle zu einem System.
Von denen kann es mehrere geben. Das sind dann die Subsysteme. Diese können wiederum andere Subsysteme beinhalten. Eine hohe Quote der Verschachtelung kann sich daraus ergeben. Innerhalb der Grenzen bilden sich Regeln sowie Kulturen. Die Zugehörigkeit zu einem System kann oft als Herausforderung dienen.
Verknüpfungen können in einem solchen Gesamtsystem frei in jedes andere System hergestellt werden.
So könnte auch Ihre Systemlandschaft mit Kanban ineinander überfliessen.
Quelle: Kanban University, Training Kanban Systemdesign
Hierarchische Systeme übernehmen oft die Regeln und Gelegen-heiten der kaskadierenden, übergelagerten Systeme bzw. auch von innen nach aussen. Daraus bilden sich eine Menge an Fragen und Herausforderungen für die Zugehörigkeit der Individuen, welchen sich ausführlich das nachstehende Werk widmet.
Quelle: Leader trifft Hirn, Dieter Strasser & Thomas Weil
Erste solche Systemgrenzen sind der Zusage- und der Lieferpunkt der nächsten Abbildung. Sprich, ab wann tickt die Uhr für die Erstellung und ab wird diese Uhr wieder angehalten?
Ganz prominent als Überschrift im Erstellungsereich entdecken Sie das Wort „FLUSSABWÄRTS". Das ist die gängige Perspektive, wie die gewünschte Arbeit ab Start der Erstellung nun gehörig Fahrt aufnimmt und wie es in der Natur üblich ist, den Fluss hinunter gleitet. Vorwärts geht es, vorwärts.
Das kann eindeutig gemessen werden und evt. gewähren Sie auch Ihren Kunden den Zugang zu Ihrem Kanbansystem. Das würde ordentlich die Transparenz fördern und Rückfragen reduzieren.
Solche Systemgrenzen kann es mehrere geben. Ggf. interessiert es ja auch, wie es mit der Arbeitsvorbereitung und -filterung links vor der Zusage vor sich geht. Oder wieviel Zeit tatsächlich von der strategischen Auswahl bis zur tatsächlichen Lieferung oder gar einer ersten Nutzenentfaltung vonnöten gewesen ist?
SYSTEMTEILE
Nach einer ersten kurzen Beschäftigung mit der Systemtheorie gehen wir nun mit der Vervollständigung der Elemente eines Kanbansystems weiter. Gerne verwende ich bei den Trainings hier eine Analogie und erhalte ganz schnell viele tolle Antworten. Auf diesen Weg verzichte ich an dieser Stelle und begnüge mich mit einer Aufzählung der wichtigsten Teile neben den schon erwähnten Grenzen.
- Festlegung der jeweiligen vertikalen Limitierungen der gleichzeitigen Arbeit
- Regeln aller Art – sowenig als möglich, soviel als nötig zum gleichen Verständnis. Meist zur Auswahl der Arbeit, Zusammenarbeit, Definition der fertigzustellenden Tätigkeiten (Definition of Done) pro Spalte (beobachtete Aktivität), Definition der Arbeit bevor es losgeht (Definition of Ready)
- Ticketdesign
- Handhabung von Blocker und Defekten
- Messmittel
- Treffen – Wann? Wer? Wie integriert? Wie vernetzt? Wie oft?
- Strukturen – Ablauflinien, Parkplätze usw., Verknüpfungen mit anderen Systemen
- Kapazitätslenkung – auch horizontal über Ablauflinien
- Arbeitstypen – welche Art an Arbeit ist im Fokus? Interne? Externe? Wertschöpfung? Wartung? Weiterentwicklung? Administration? Fehler?
- Verhaltenskodex
- Abhängigkeiten – wie werden diese dargestellt?
- Geteilte Dienste
- Visualisierter Zweck des Dienstes
- U.a.
Das klingt nach einer ganzen Menge. Wenn ich nochmals in Erinnerung rufen darf – das sind alles Teile des Spielsets und Sie wählen aus – am besten geleitet durch einen erfahrenen Kanban-Coach, was Sie einsetzen wollen. Dazu gibt es auch eine systematische Prozedur namens STATIK, mittels derer Sie Ihr System entwerfen und zusammenbauen. Diese Anleitung ist bei mir als digitales Exposé mit Beispielen für jeden Schritt und allen Verknüpfungen auf Abruf erhältlich.
Kanbansysteme werden häufig auch in Zusammenhang mit anderen Methoden in rudimentärer Ausprägung als Statusbord (fälschlicherweise oft als Kanbanbord bezeichnet) verwendet. Dagegen ist nichts einzuwenden. Ziel dieser Ausführungen ist lediglich die Aufklärung.
So bedient sich auch Scrum dieser Vorteile unter dem Namen ScrumBan. Selbst bei diesen Ausprägungen entsteht für die Anwender enormer Nutzen durch die Visualisierung und Strukturierung oftmals vernachlässigter Aufgaben.
Achten Sie jedoch auf die angepriesene Funktionalität „Kanban" oder „Kanbanbord" bei vielen Herstellern digitaler Werkzeuge. Das hat mit Kanban nahezu nichts gemein. Leidglich die Gruppierung von Daten in Spalten verleiht der Arbeitsweise einen ähnlichen Charakter ohne jedoch die vorher beschriebenen Effekte auch nur im Geringsten erreichen zu können.
Besonders empehlenswert ist, wenn Sie Ihr nunmehriges Kanbansystem in ein Obeya packen oder zumindest beide Teile für Ihre Einsatzbereiche nutzen. Hier finden viele Strukturteile ihr zuhause und sind gesamthaft eingebettet.
Quelle: Obeya Association
Lassen Sie uns diesen Ausflug mit dem Hinweis auf weitere verfügbare Informationen der Obeya Association beenden.
MESSEN
Wie schon mehrfach angerissen, ist Messen essentiell zur Entscheidungfindung basierend auf Fakten. Damit dies ein für alle Mal klar ist – die Leistung des Dienstes wird gemessen und zwar der jeweiligen Arbeitstypen oder sonstige Unterstrukturen und NICHT die der Arbeiter:innen. Idealerweise nehmen die Messungen die beteiligten Personen selbst vor und visualisieren den Trend in Zeitreihen. Das unterstützt bei der Erkennung von Veränderungen.
Wer sich ausführlicher damit auseinandersetzen will, ist eingeladen, die freie Artikelserie „Viables Kontinuum Organisation" zu konsumieren. Insbesondere weise ich auf die Artikel „Auswahl Arbeit" und „F4P & OBM & OKR" – eine Systemanalyse hin. Dort finden Sie auch viele konkrete Tipps für Ihren Alltag.
Ganz hart gesagt: „Je disziplinierter, je sturer, je rigider Sie ab dem Zeitpunkt der Zusage mit Ihren Regeln umgehen, desto mehr Freiheit werden Sie gewinnen. Klingt paradox. Ist es aber nicht. Ausnahmen gelten nur für alltägliche Feinjustierungen zur Optimierung des Flusses.
Das Studiums der Ausführungen aus dem Buch „Fit for Purpose" – wie Unternehmen Kunden finden, zufriedenstellen & binden" sind ebenso ein heisser Tipp. Schärfen Sie den Zweck!
Quelle: Quelle: Mauvius Group Inc. übersetzt durch Viable Projects GmbH
FAZIT
Dieser Artikel widmet sich Grundlagen und ist trotzdem erst später als die aufbauenden Arbeiten erschienen. Auslöser dazu sind immer wieder Fragen und mangelhafte Darstellungen am Markt gewesen, die mich dazu geführt haben, meinem Kompendium diese Ergänzungen zuzuführen.
Damit sollten nun auch diese Aspekte sauber geklärt sein und einer praktischen Ausführung nichts mehr im Wege stehen. Denn das ist das einzige Ziel – die Nutzung in der Praxis.
Legen Sie los und erfahren Sie die Vorteile sowie Stärken eines Kanbansystems. Nutzen Sie Statusbords, wo immer es Ihnen zur Übersicht verhilft. Messen Sie. Entwicklen Sie Ihre Landschaft gemäss Ihren Anforderungen Stück für Stück. Haben Sie Geduld mit sich und Ihrer Umgebung. Es wächst.
Viel Erfolg dabei!
Wenn Sie tieferes Interesse an digitalen Unterlagen oder Bildern in deutscher Sprache haben, lassen Sie mich das bitte gerne wissen.
Dieter Strasser, MSc, CMC, Geschäftsführer:
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Trainer, Coach, Facilitator bei Viable Projects GmbH:
▪ www.viableprojects.eu